Freitag, 3. September 2010

Das letzte Wochenende des Sommers


Seersucker (von persisch shir o shekar,  Milch und Zucker) leitet, was Kleidung betrifft, das Ende des Sommers und der Sommergarderobe nicht nur ein; er schreibt es, wenn man puristisch ist, sogar nahezu fest. Seersucker trägt Mann vom Memorial Day, also dem letzten Montag im Mai, bis zum Labor Day, also dem ersten Montag im September. So puristisch muss man nicht sein, schließlich spielen diese amerikanischen Feiertage hier keine Rolle. Dieser klassische amerikanische Anzug- und Jackenstoff aber leider auch nicht; höchstens noch für Hemden oder Bettwäsche, obwohl er für beides eigentlich viel zu schade ist.
Kaum ein Stoff ist im Sommer so angenehm zu tragen und so vielseitig verwendbar. Der beispiellose Tragekomfort kommt durch die spezielle Webtechnik des Baumwollstoffes, bei der sich glatte und geraffte Streifen abwechseln und so immer einen gewissen Abstand zum Körper bewahren, der optimale Luftzirkulation gewährleistet. Vielseitig verwendbar wird er zum einen ganz praktisch dadurch, dass die Baumwolle eine problemlose Reinigung zulässt und die spezielle Webart bügeln nicht nur unnötig, sondern nahezu unmöglich macht. Aber auch seine Geschichte trägt zu seiner Vielseitigkeit bei. Aufgrund der eben beschriebenen Eigenschaften und seines erschwinglichen Preises, zunächst von den Armen Amerikas getragen, machten ihn ab den 1920ern amerikanische Studenten langsam gesellschaftsfähig. Ein Zitat was dem amerikanischen Journalisten und Schriftsteller Damon Runyon zugeschrieben wird, sagt, seine Freunde hätten sich zunächst nicht entscheiden können, ob er arm sei oder einen neuen Trend setzte. Seit letztem Jahrhundert wird Seersucker hautsächlich von Gentlemen der amerikanischen Südstaaten getragen. Hauptsächlich zu eher informellen Gelegenheiten, allerdings ist der Stoff dort, zumindest als Anzug, sogar formell genug, um vor Gericht (man erinnere sich an Atticus Finch in "Wer die Nachtigall stört") oder im amerikanischen Senat getragen zu werden; seit den späten 90ern gibt es dort an einem Tag im Juni den Seersucker Thursday.
Seersucker ist eher ein Stoff für tagsüber als abends, es sei denn zu Feiern, die im Freien stattfinden. Warum Feiern im Sommer aber woanders stattfinden sollte, ist auch die Frage. Durch seine Haptik und Farbgebung, vor allem hellblau-weiß in gleichmäßigen Streifen, selbst traditionell aber auch andere Farben mit weiß, behält Seersucker bei aller Klassik und Konservativität immer auch etwas leicht Exentrisches, Auffälliges und Frisches. Perfekt kombiniert ist Seersucker mit weißem Hemd, ebenfalls weißen Bucks oder Spectator Schuhen und einem Mint Julep.
Nächsten Montag ist der 6. September, wer kann, sollte dieses Wochenende daher noch einmal Seersucker tragen und unter freiem Himmel auf die (zucker)süßen Seiten des Sommers anstoßen!

(Im Bild: eine nicht ganz klassische Seersucker-Sportjacke aus der letztjährigen Musterkollektion von Roy Robson. Die blauen Streifen sind zu dunkel und zu schmal, die weißen zu breit und die Knöpfe wären besser hell als dunkel. Im Knopfloch eine Samtveilchen-Blüte.)

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